Will Andrea Thurner jemandem eine Tafel Schokolade verkaufen, dann rechnet sie dafür im Schnitt zehn Minuten Überzeugungsarbeit ein. «Dass Schweizer Schoggi die beste Schoggi ist, ist in vielen Köpfen fest verankert.» Thurner hat vor einem halben Jahr in Andelfingen ihr Start-Up «the small batch project» gegründet und importiert Kleinstmengen so genannte Bean to Bar – von der Bohne bis zur Tafel – Schokolade: Die Hersteller beziehen den Kakao dafür direkt von den Produzenten und verarbeiten ihn in kleinen Chargen vom Rohprodukt bis zur fertigen Tafel selbst.
Komplexe Geschmackswelt
Thurners Schokolade ist teuer: 80 bis 90 Gramm kosten acht bis zwölf Franken. Ein buntes Arrangement an kunstvoll verpackten Tafeln liegt vor ihr ausgebreitet. Zwölf Sorten hat sie derzeit im Angebot, doch das ändere sich dauernd: «Ich bin noch in der Testphase.» Das Geschmackserlebnis ist ein ungewohntes für Schweizer Gaumen:
«Schokolade muss nicht nur total süss sein und vor lauter Zucker ‹giggerig› machen. Sie ist genau so eine komplexe Sache wie Wein», sagt Thurner. Kakao aus Nicaragua schmecke nussig, aus Peru fruchtig, aus Tansania geröstet und Papua Neuguinea warte mit Raucharomen auf.
«Schokolade ist genau so eine komplexe Sache wie Wein.»
Andrea Thurner
Zwei Aspekte hätten sich bis jetzt herauskristallisiert, sagt die 38-Jährige. Auf der einen Seite gehe es ihr, die Humangeographie studierte und sich beruf lich auch schon mit nachhaltigem Anbau von Kaffee auseinandersetzte, um die Umwelt und die Würdigung von Kakaobauern. Auf der anderen Seite stehe die komplexe Geschmackswelt von Schokolade, die von hiesigen Industrieprodukten nur zu einem Bruchteil abgedeckt werde.
Schokolade ist nie regional
Woher das Fleisch auf ihrem Teller stamme, interessiere mittlerweile viele
Konsumentinnen, sagt Thurner. Regionalität habe einen hohen Stellenwert – zumindest selektiv. «Kakaobohnen kann man nur in tropischen Gefilden anbauen. Es gibt also keine Schokolade, die komplett aus der Schweiz stammt.» Auch kleinere Confiseure beziehen meist vorgefertigte Kakaomischungen und verarbeiteten sie lediglich im letzten Schritt zu Pralinés.
Andrea Thurner kam in Mexiko zur Welt. Ihr Vater, ursprünglich aus Benken, und ihre Mutter, ursprünglich aus Österreich, hatten sich dort kennengelernt. Nach 19 Jahren im Land und Unterricht an deutschen Schulen zog es sie fürs Studium nach Europa. «Danach habe ich in der Schweiz super schnell einen Job als Finanzanalytikerin gefunden und irgendwann fühlte es sich hier einfach richtig an.» Seit sechs Jahren wohnt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern in Andelfingen.
Zucker für die Massen
Zu Beginn habe sie in Schweizer Läden nach mexikanischer Schokolade gesucht, erzählt Thurner. Fündig wurde sie nie. Das sei doch erstaunlich, wenn man bedenke, dass es sich bei Mexiko um ein Ursprungsland der Schokolade handle. «Die Regale der Detailhändler sind gut gefüllt, aber die ganze vermeintliche Vielfalt stammt von den gleichen drei Anbietern. Das ist doch stinklangweilig.» Ziel einer grossen Marke sei, dass Konsumenten sie am Geschmack erkennen. Das führe dazu, dass auch unterschiedliche
Sorten sehr oft ähnlich schmeckten und dass zudem meist viel Zucker und Vanille
beigegeben werde, um die Schokolade massentauglich zu gestalten.
«Vanille kommt nur in die Schokolade, wenn es eine Schokolade sein soll, die nach Vanille schmeckt»Andrea Thurner
«Dabei kann Kakao bis zu 600 Geschmacksaromen verbinden», sagt Thurner. Die Bohne sei extrem vielseitig. Lange habe man gedacht, es gebe lediglich drei Sorten, heute kenne man mindestens 36 verschiedene. «Bean to Bar ist eine Art Reinheitsgebot für Schokolade.» Ungefähr 30 Prozent Zucker wird jeweils einer Sorte Kakao beigegeben, die Bohnen spielen die Hauptrolle. «Vanille kommt nur in die Schokolade, wenn es eine Schokolade sein soll, die nach Vanille schmeckt», sagt Thurner. Genau wie bei Wein sei das Terroir ein wichtiger Faktor. Zwei Drittel des Geschmacks entstünden im Ursprungsland, sagt Thurner. Lediglich das letzte Drittel trägt der Chocolatier bei.
«Bist du besoffen?»
Bean to Bar erinnert an Craft Beer und Spezialitätenkaffee. Dafür hätten mittlerweile viele Leute ein Verständnis entwickelt, sagt Thurner. Bei Schokoladen, die «oft tatsächlich noch in Garagen hergestellt werden», sei es noch nicht so weit. Das sehe sie an den Reaktionen, die sie auf ihr Projekt erhalte, sagt Thurner: «Schokolade in die Schweiz importieren? Bist du besoffen?», habe sie einige Male zu hören bekommen. Doch das Projekt stösst auch auf positive Resonanz: Sei es, weil den Leuten der soziale
Aspekt gefalle oder, was eher der Fall sei, das Gourmet-Denken einsetze. Ob sich ihr Start-Up auf dem Markt behaupten könne, werde sie Schritt um Schritt testen, sagt Thurner. Unter anderem an Messen und Märkten wie dem Pop-up Markt in Winterthur am kommenden Wochenende, wo sie den direkten Austausch mit Konsumenten suche.
Zu den ersten Erfolgserlebnissen zählt sie, dass die Gesundheitsinspektorin, die ihr Lager überprüfte, in der Woche darauf eine Bestellung aufgegeben hat. (Der Landbote)